Stefan à Wengen. The Power of Love
23.08.2024 bis 26.01.2025
Eröffnung: Freitag, 23.08.2024, um 19:00 Uhr
Als Kind ging Stefan à Wengen mit seinen Eltern regelmässig in den Basler Zoo. Dort erlebte er einen dieser raren Momente, welche sich für immer festsetzen und lebenslang prägend sind: Sein Blick begegnete dem eines Nashorns, und dies brachte etwas zum Schwingen, das eine tiefe Verbindung zwischen den beiden über die Gattungsgrenze hinweg aufblitzen liess. Zu solchen Momenten des Erkennens schrieb der Schriftsteller und Kunstkritiker John Berger: «Die Augen eines Tieres sind, wenn sie einen Menschen betrachten, aufmerksam und wach- sam. Das gleiche Tier wird vermutlich andere Tiere auf die gleiche Weise anse- hen. Für den Menschen ist kein besonderer Blick reserviert. Doch keine andere Gattung als die des Menschen wird den Blick des Tieres als vertraut empfinden. Andere Tiere nimmt der Blick gefangen. Der Mensch jedoch wird sich, indem er den Blick erwidert, seiner selbst bewusst.»1
Jahrzehnte später war die Zeit reif, diesen Moment wieder aufleben zu lassen, das Nashorn in seiner ganzen Bedeutung für ihn als Mensch und Künstler auf grosse Formate zu malen (bis heute fünf Acrylbilder von 180 x 260 cm). Stefan à Wengen hatte die Form gefunden, um gleichzeitig Stärke und Stoizismus, Stolz und Abhängigkeit, Exotik und Vertrautheit zum Ausdruck zu bringen. Der Schlüssel ist Empathie und Emotion, welche er einem Motiv entgegenbringen können muss, von der ersten Begegnung über die Studien, die sich hinziehen können, bis zum Malen. In Erinnerung an die Gefühlserschütterung, die er in jenem kindlichen Augenblick empfunden hatte, nennt er die Nashörner «The Power of Love». Wie bei ihm üblich recherchiert er immer wieder von Neuem, bevor er sich erlaubt, eine weitere Version zu verwirklichen.
Als eines der zahlreichen Vorbilder diente ihm der berühmte Holzstich «Rhinocerus» (1515) von Albrecht Dürer, den dieser nach schriftlichen Berichten eines Augenzeugen fertigte, ohne jemals eines gesehen zu haben. Ein Nashorn war im Jahre 1515 eine spektakuläre Angelegenheit, die selbst Könige auf den Plan rief, hatte doch Europa kein Nashorn mehr erlebt seit dem Niedergang des Römischen Reiches. Ein Nashornbulle war damals von Goa an den Hof Manuel I. von Portugal verschickt und eine Weile in der Menagerie gehalten worden, bevor er weitergereicht werden sollte an Papst Leo X., den Medici-Papst mit ei- nem Hang zum Exotischen. Auf der Seereise nach Rom ging das Schiff mit dem Nashorn vor La Spezia unter.2 Auf einer schattierten Standfläche verortet, präsentiert der Maler das Tier bildfüllend vor leerem Hintergrund von der Seite mit Blick nach links. Mutterseelenallein steht es da, in seiner äusseren Erscheinung ein Zusammenblick von Nashorn-Darstellungen aus der Kunstgeschichte, im Ausdruck jedoch beseelt von à Wengens Erinnerung. Obwohl Tiere recht häufig in à Wengens Werken erscheinen, trifft man sie aber so gut wie nie in ihrer natürlichen Umgebung an.
Roswitha Schild
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1 Warum sehen wir Tiere an? In: John Berger; Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens; Berlin, 2022; Seite15.
2 Vgl. dazu: Philip Hoare, Albrecht Dürer und der Wal. Wie die Kunst die Welt erschaffen hat; Stuttgart, 2023; Seiten 38-44.
Abbildung:
Stefan à Wengen, The Power of Love
2013, Acryl auf Leinwand, 180 x 260 cm